Nichts schmeckt so süß
wie Olympisches Gold

Gleich bei meinem ersten Olympischen Spielen, 1992 in Albertville, gewann ich meine erste Medaille. Bronze über 5.000 Meter. Als krasse Außenseiterin. Alle waren überrascht, am meisten ich selbst. Die deutsche „Dienstkleidung“ für Siegerehrungen hatte ich erst gar nicht eingepackt, wollte ich mir die Zeremonie doch nur anschauen. Als ich selbst auf dem Podest stand, war ich so überwältigt, dass ich nach meiner Rückkehr aus Frankreich ein eigenes zeitliches Denken, ein eigenes Kalendarium, entwicklelte. Nicht mehr Monate und Jahre waren für mich relevant, sondern Olympiaden, also der Zeitraum zwischen zwei Olympischen Spielen. Immer schon wollte ich Olympiasiegerin werden. Jetzt erst recht. Das erste Mal dabei und gleich rauf aufs Siegertreppchen. Logisch war das nicht zu erklären. Eher emotional. Meine Olympiapremiere hatte Kräfte freigesetzt, von denen ich zuvor nicht einmal wusste, dass sie da sind. Was ich nicht ahnen konnte: Dieses Phänomen sollte sich regelmäßig wiederholen, immer dann, wenn die Fahne mit den fünf Ringen im Wind wehte und das Feuer brannte, das am Eröffnungstag entzündet und am Schlusstag gelöscht wurde. Allein diese Szenarien sind ein Beleg für die Sonderstellung Olympias. Wenn sich die Spitzenathleten aller Kontinente alle vier Jahre treffen, steht der Rest der Sportwelt so gut wie still. Europa- und Weltmeisterschaften dagegen gibt es im Sport fast wie Sand am Meer. Allein bei uns Eisschnellläufern waren es lange Zeit gleicht vier (!) im Jahr. Die Mehrkampf-EM und -WM, die Sprint- und die Einzelstrecken-WM. Ich habe mich oft selbst gefragt, wie es bei dieser Konstellation möglich war, dass ich fast genau so viele Olympiasiege (5) wie Weltmeistertitel (6) erringen konnte? Ich kann mir das nur damit erklären, dass mein Körper immer dann in der Lage war, Besonderes zu leisten, wenn es auch etwas Besonderes zu gewinnen gab. Längst weiß ich, nichts schmeckt so süß, wie Olympisches Gold.
Da beißt auch schon mal gerne für die Fotografen ins Edelmetall (Foto aus Salt Lake City 2002, als ich gleich zweimal Gold mit Weltrekord gewann – über 3.000 und 5.000 Meter). Und noch eines unterstreicht die Sonderstellung Olympias: Bei der Inflation von Europa- und Weltmeisterschaften ist schnell von Ex-Weltmeistern und Ex-Europameistern die Rede, wenn man „entthront ist“. Den Begriff Ex-Olympiasieger habe ich noch nie gehört. Olympiasieger ist man für die Ewigkeit. Und wenn man es wie ich später zur erfolgreichsten Winterolympionikin Deutschlands gebracht hat, dann bleibt man das auf jeden Fall für vier Jahre.  Bei mir waren es insgesamt sogar 20 Jahre. In Peking wurde ich von Natalie Geisenberger abgelöst. Herzlichen Glückwunsch zum 6. Olympiagold – eine überragenden Leistung, Natalie.